Tango und Klezmer mit dem Odeon Orchestrion

Foto: Manuela Baumann
Foto: Manuela Baumann

ORTENBERG (mba). Beim Auftritt des „Odeon Orchestrion“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sommerbühne am Schloss“, die der Ortenberger Kulturkreis in Zusammenarbeit mit der fürstlichen Familie zu Stolberg-Roßla und mit Unterstützung des Mittelhessischen Kultursommers mit großem Erfolg ausgerichtet hat, waren Emotionen angesagt. Mit Tango und Klezmer vereinte das Quintett um Reinhold Melzer (Kontrabass) auf der Bühne zwei

sehr unterschiedliche Musikstile zu einem mitreißenden Programm, in dem sich auf der einen

Seite südamerikanische Leidenschaft und auf der anderen Seite ostjüdische Lebenslust Bahn brachen und dem zu lauschen das Publikum faszinierte.

 

Auch die kurzweilige, sehr informative und humorvolle Moderation von Ronka Nickel, die im

„Odeon Orchestrion“ Cello spielt und dann und wann singt, trug ihren Teil zum runden Gesamtbild der Veranstaltung bei. Einmal mehr war es ein wunderbarer Abend, den der Kulturkreis seinen

Gästen im Freien vor dem in wechselnden Farben herrlich illuminierten Rentamt bot. Die Begrüßung dazu hatte diesmal die zweite Vorsitzende des Kulturkreises, Ute-Arendt-Söhngen, übernommen.

 

Jürgen Vogt (Klarinette), Birgit Lusky (Geige), Monika Maurer (Akkordeon), Reinhold Melzer und

Ronka Nickel nahmen ihre Zuhörer mit in die durch den Holocaust vollständig vernichtete jüdische Welt Osteuropas, zu Verlobungsfeiern und Hochzeiten, die mit vielen Gästen, üppigen Tafeln und viel Musik, Tanz und Fröhlichkeit gefeiert wurden, aber auch in brennende Ghettos und zu Menschen wie dem großen Mordechai Gebirtig, dem 1942 im Ghetto von

Krakau ermordeten „Vater des jiddischen Liedes“, der von Beruf Schreiner war und von dem man

sagte, tagsüber würde er an Möbelstücken hobeln und nachts an jiddischer Musik. Von Ronka Nickel wunderbar geschilderte Anekdoten erzählten von der Entstehungsgeschichte zahlreicher Lieder und lieferten gleichsam einen bildhaften Hintergrund zu der mitreißenden Musik wie Einblicke in eine unwiederbringlich verlorene Kultur voller Humor, Witz und Lebensfreude.

 

Dass ein Tango nicht unbedingt südamerikanisch sein muss, um die Menschen zu begeistern, bewies das erste Stück dieses Genres, das das „Odeon Orchestrion“ darbot. Es stammte nämlich aus der Feder des dänischen Komponisten Jacob Gade und diente einst zur Vertonung eines längst verschollenen Stummfilms. „Jalousie“ brachte seinem Schöpfer so viele Tantiemen ein, dass er sein Leben lang davon zehren konnte und fortan nur noch komponierte, wozu er Lust hatte. Auch „El choclo“ von Angel Villoldo gehört zu den Tangos, die Geschichte geschrieben haben. Durch seine Uraufführung 1903 im eleganten Restaurant „El Americano“ in Buenos Aires war er nämlich der erste Tango, der den Sprung von der Unterklassen-Musik

in die Oberklasse geschafft hat – trotz oder vielleicht auch gerade wegen der erotisch-zweideutigen Konnotation seines Titels.

 

Das berühmte „La cumparsita“ durfte im Repertoire des „Odeon Orchestrion“ ebenso wenig fehlen wie „I love Paris“ von Cole Porter, das in Deutschland als „Ganz Paris träumt von der Liebe“ der jungen Caterina Valente zu Ruhm verhalf. Auch „Eine kleine Sehnsucht“ von Friedrich Hollaender und der „Blue Tango“ von Leroy Anderson als erste Instrumentalaufnahme, die sich eine Million Mal verkaufte, waren zu hören, und selbst der 50er- Jahre-Schmachtfetzen „Roter Mohn“ fand Eingang ins Programm. Dabei war gerade die Geschichte hinter diesem Stück mindestens ebenso hörenswert wie die Musik selbst, denn sein Schöpfer Michael

Jary, aus dessen Feder auch so bekannte Stücke wie „Das kann doch einen Seemann nicht

erschüttern“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ und „Wir wollen niemals

auseinandergeh‘n“ stammen, hieß eigentlich Maximilian Michael Andreas Jarczyk und war von

den Nazis als „polnischer Jude“ diffamiert worden. Mit dem „geglätteten“ Namen stand dann einer

Karriere nichts mehr im Wege.

 

Auch, wie Friedrich Hollaender über mehrere Ecken für die Produktion des Films „Der Blaue Engel“ gewonnen wurde und wiederum über eine weitereEcke eine gewisse, damals noch unbekannte Marlene Dietrich für die weibliche Hauptrolle aufs Tapet brachte, schilderte Ronka Nickel als herrliche Anekdote. Das Publikum hätte ihren Erzählungen und der wunderbaren Musik des „Odeon Orchestrion“ noch ewig zuhören können, doch auch dieser Sommerabend musste irgendwann zu Ende gehen. Schade.

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